Ein Besuch in der Universitätsbibliothek Basel 1836
“Heute am 6ten August brachen wir früh nach 5 auf, hatten das herrlichste Wetter u. begrüßten mit freudiger Sehnsucht den Vater Rhein u. die fernen schweizer Gebirge, die sich uns kurz vor Basel zum erstenmal zeichten. Die Stadt gefiel uns nicht u. nur die Lust, Hollbeins Handzeichnungen zu sehen, konnte uns darin aufhalten. Ein Gewitter brach eben aus als wir die Bibliothek betraten u. die Dunkelheit, die damit verbunden war, ließ kaum die Bilder erkennen, die sehr schlecht in einem tiefen, langen, finstern Saal aufgehängt sind.”
Mit diesen Worten beginnt die Schilderung eines Aufenthalts in der Stadt Basel, den Luise von Thienen-Adlerflycht (1805–1876) Anfang August 1836 mit ihrem Ehemann Konrad Christoph von Thienen (1804–1884) erlebte. Das Ehepaar war Ende Juli von seinem Wohnort Frankfurt am Main zu einer rund fünfwöchigen Reise Richtung Süden und zurück aufgebrochen. Während dieser Zeit führte Luise ein Tagebuch, in dem sie von ihrer Reise, den unterschiedlichen Aufenthaltsorten und deren Sehenswürdigkeiten berichtete.
Dieses Reisetagebuch wurde im Frühjahr 2024 auf einer Auktion des Pforzheimer Auktionshauses Kiefer versteigert. Die Erwähnung des Ortes «Basel» in der Katalogbeschreibung machte die Universitätsbibliothek Basel neugierig und liess das Team bei der Auktion mitbieten. Neben der Hoffnung auf ein neues, spannendes Basiliense für die Sammlung weckte auch die Tatsache, dass es sich bei dieser Handschrift um ein Tagebuch einer Frau aus dem 19. Jahrhundert handelt, das Interesse der UB Basel.
Dass sich das kleine, sorgfältig beschriebene Ledernotizbuch aber als ein derart interessanter Fund für die UB und die Basler Sammlungen insgesamt herausstellen würde, war aus der Katalogbeschreibung nicht herauszulesen gewesen und zeigte sich erst, als das Büchlein tatsächlich vor dem UB-Team lag. Die UB ist sehr glücklich darüber, dass sie die Handschrift für die UB erwerben konnte. Der Besuch von Luise von Thienen-Adlerflycht und ihrem Ehemann in Basel spielte sich nämlich hauptsächlich in der Universitätsbibliothek ab. Dies war teilweise dem Wetter geschuldet, denn an jenem 6. August 1836 tobte in Basel ein heftiges Gewitter. Viel mehr noch aber lockte der Ruf der Basler Universitätsbestände – “die Lust, Hollbeins Handzeichnungen zu sehen” – das Ehepaar. Die UB war ganz offensichtlich der wichtigste Grund für die beiden Reisenden, Basel zu besuchen und sich diese Schätze in der Bibliothek anzusehen.
Die Universitätsbibliothek war zum damaligen Zeitpunkt im Haus zur Mücke am Schlüsselberg untergebracht und umfasste neben den Buchbeständen die gesamte universitäre Sammlung, die insbesondere nach der Integration des Amerbach-Kabinetts 1661 und des Museum Faesch 1823 auch Bilder, Münzen, Möbel und weitere Objekte einschloss. Die Präsentation in einem “tiefen, langen, finstern Saal”, der durch die Gewitterwolken offenbar zusätzlich verdunkelt wurde, wurde von Luise zwar nicht als ansprechend wahrgenommen, tat ihrer Faszination für die gezeigten Objekte aber keinen Abbruch: “Am meisten interessirte mich ein altes lateinisches Buch über die Narrheit der Menschen von Erasmus geschrieben u. von Hollbein mit vortrefflichen kleinen Federzeichnungen an den Rändern geziert. Schon große Summen sind dafür geboten geboten worden.”
Das erwähnte Exemplar von Erasmus’ “Laus stultitiae” mit Randzeichnungen von Hans Holbein dem Jüngeren befindet sich heute im Kupferstichkabinett Basel. Hans Holbein hatte es Luise ganz offensichtlich angetan, denn auch seine Gemälde faszinierten sie: “Das Bilde seines [i.e. Holbeins] Freundes Errasmus von ihm gemahlt, das eines Burgermeisters Mayer, des ersten Buchdruckers Frobenius, sind, außer der berühmten Leidensgeschichte Christi, am bemerkenswerthesten.”Die erwähnten vier Gemälde gehören heute zum Bestand des Kunstmuseum Basel.
Weiter bewunderte das Ehepaar zwei Möbelstücke aus dem ehemaligen Museum Faesch, darunter den kunstvoll geschnitzten Kabinettschrank, der heute im Historischen Museum Basel aufbewahrt wird. Zudem sahen sie die im 16. oder 17. Jahrhundert in Kairo entstandene Tora-Rolle, die August Johann Buxtorf (1696–1765) erworben und Mitte des 18. Jahrhunderts der Universitätsbibliothek übergeben hatte. Die Rolle gehört heute zum Bestand der Universitätsbibliothek Basel, ist aber seit 2015 im Jüdischen Museum der Schweiz als Leihgabe ausgestellt.
Der Besuch des Ehepaars in der Bibliothek ist auch im Besucherbuch von 1823–1838 für den besagten Tag dokumentiert:
Luises Beschreibung ihres Basel-Besuchs zeigt nicht nur die Bedeutung der Universitätsbibliothek zu dieser Zeit, sondern sie ist auch ein sehr plastisches Zeugnis für die Erfahrung eines Bibliotheksbesuchs im Haus zur Mücke kurz vor dem Umzug der Universitätsbibliothek 1849 in die Augustinergasse. Der Umzug war vor allem durch die räumliche Enge nötig geworden, nachdem 1823 das Museum Faesch in den Universitätsbestand integriert worden war. Einen Eindruck vom Haus zur Mücke zu dieser Zeit gibt ein Bild von Hieronymus Hess aus dem Jahre 1837.
Luises Beschreibung betont die offenbar nicht optimale Präsentation der Bilder im Bibliotheksraum, die sie aber trotzdem gefangen zu nehmen wusste, nachdem die Aura der Objekte sie bereits im Vorfeld ihrer Reise erreicht und das Ehepaar überhaupt nach Basel geführt hatte. Die Beschreibung der Universitätsbibliothek, ihrer Bestände und der Erfahrung des Bibliotheksbesuchs im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts gibt einen spannenden Einblick in eine Zeit, als die universitären Sammlungen noch als Einheit aufbewahrt wurden. Die «Bibliothek» wurde zwar als solche bezeichnet, wurde aber primär als Museum besucht. Die spezialisierten Basler Institutionen – die heutige UB, das Historische Museum Basel, das Kunstmuseum mit dem Kupferstichkabinett – bildeten sich erst Ende des 19. Jahrhunderts heraus.
Wer Luises Bericht über den UB-Besuch oder die Erzählungen ihrer übrigen Reiseerlebnisse selber nachlesen möchte, findet die wissenschaftliche Beschreibung und das Digitalisat des Reisetagebuchs in UB-Katalog swisscollections: https://swisscollections.ch/Record/991171894925905501
Neben der Bibliothek gibt es für Luise übrigens nichts aus Basel zu berichten: «Ein fataler Regen fesselte uns ans Zimmer u. so an den Schreibtisch.» Der nächste Eintrag in ihrem Tagebuch berichtet schon vom nächsten Reiseziel: der Ruine Schloss Neu-Falkenstein in Balsthal.
Quellen
Abbildungen
Abb. 1: Basel, UB, UBH Y II 34
Abb. 2: Kunstmuseum Basel, Inv. 319
Abb. 3: Kunstmuseum Basel, Inv. 312
Abb. 4: Kunstmuseum Basel, Inv. 357
Abb. 5: Kunstmuseum Basel, Inv. 315
Abb. 6: Basel, UB, AN II 30a, 80v
Abb. 7: Festschrift zur Eröffnung des Kunstmuseums, Basel 1936, S. 70
Autor*in
Monika Studer