Der Basler Prozess um die “Protokolle der Weisen von Zion”
Ein Objekt aus der Sammlung des Jüdischen Museums der Schweiz zeugt davon, wie sich das Schweizer Judentum 1933 aktiv gegen kursierende Verschwörungstheorien zur Wehr setzte.
Basel, Kornhausgasse 8. An dieser Adresse befindet sich heute das Jüdische Museum der Schweiz, dessen Sammlung ein 1933 beschlagnahmtes Exemplar der “Geheimnisse der Weisen von Zion” bewahrt. Vom gleichen Standort aus, dem Lokalsekretariat an der Kornhausgasse 8, wurde 1933 die sogenannte Aktion in Basel geleitet. Die “Aktion” war eine Massnahme des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) zur Abwehr von Antisemitismus. Das Lokalsekretariat Basel berichtete dem SIG über antisemitische Vorkommnisse in Basel und verhandelte darüber, welche Gegenmassnahmen zu ergreifen seien. Eine davon war der sogenannte Basler Prozess um die “Protokolle der Weisen von Zion”.
Am 21. Juni 1933 reichte der jüdische Anwalt Oscar Meyer beim Basler Strafgericht eine “Ehrbeleidigungsklage” ein, im Auftrag Jules Dreyfus-Brodskys, Präsident der Israelitischen Gemeinde Basel und des SIG, Dr. Marcus Cohns, Präsident des Schweizerischen Zionistenverbandes sowie Dr. Marcus Ehrenpreis’, Oberrabbiner von Stockholm. Die Klage richtete sich gegen die Autoren und Verbreiter der “Protokolle der Weisen von Zion”.
Bei den “Protokollen” handelt es sich um eine antisemitische Schrift vermutlich russischen Ursprungs, die im Zuge der russischen Revolution auch Westeuropa erreicht hatte und in kommentierten Versionen mehrfach neu aufgelegt wurde. Die “Protokolle” sollen fiktive Absprachen zwischen Juden für die Übernahme der politischen Weltherrschaft belegen. Dass es sich bei den “Protokollen” um ein Plagiat der 1864 erschienen politischen Satire von Maurice Jolys “Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu” handelte, galt bereits 1926 als bewiesen, dennoch zirkulierten sie weiter und fanden durch den Nationalsozialismus neue Leser*innen. Die Angeklagten im Basler Prozess waren die deutschen Erzeuger der Schriften, Gottfried van der Beek als Autor der Schrift “Die Geheimnisse der Weisen von Zion” und Theodor Fritsch, Urheber der “Zionistischen Protokolle” sowie die schweizerischen Verbreiter der Broschüren, Alfred Zander und Eduard Rüegsegger. Beim Namen “Gottfried van der Beek” handelte es sich um das Pseudonym von Ludwig Müller von Hausen, einem antisemitischen deutschen Publizisten, der 1926 verstorben war. Theodor Fritsch, so stellte es sich bald heraus, war ebenfalls verstorben. Die Klage richtete sich in der Folge gegen Alfred Zander, Leiter der faschistischen Nationalen Front, wobei es in erster Linie um ein öffentliches Urteil ging, in dem die “Protokolle” ein für alle Mal als Fälschung entlarvt würden.
Geführt wurde der Prozess in Basel vom Strafgerichtspräsident Dr. Enocari. Dieser verfügte am 22. Juni 1933 die Beschlagnahmung der “Protokolle” in den Räumlichkeiten der Ortsgruppe der Nationalen Front in Basel, wobei zwei Kriminalbeamte 761 Exemplare sicherstellten.
Fast zeitgleich wurde in Bern ein ähnlicher Prozess in die Wege geleitet. Die Berner Anwälte verweigerten Oscar Meyer eine Kooperation, da sie ihren eigenen Prozess nicht gefährden wollten. Weil sich der Schweizerische Israelitische Gemeindebund vom Ausgang dieses Prozesses mehr versprach, verstärkte er seine Bemühungen zugunsten des Prozesses in Bern, jener in Basel wurde hingegen verschoben. Im Juni 1936 wurde beschlossen, ganz auf einen Prozess in Basel zu verzichten und einem Vergleich mit Zander zuzustimmen. Zander musste seine Behauptung, Ehrenpreis habe die Echtheit der “Protokolle” bezeugt, zurückziehen und zugeben, dass die Schrift in keinem Zusammenhang mit dem Ersten Zionistenkongress in Basel stünde. Ausserdem stimmte Zander zu, die Gerichtskosten zu übernehmen. Bei Oscar Meyer, der sich mit viel Herzblut für den Basler Prozess eingesetzt hatte, hinterliess der Ausgang einen bitteren Nachgeschmack, obschon er selbst Jules Dreyfus-Brodsky bereits im Juni 1934 zur Annahme des Vergleichs geraten hatte. Obwohl er den Berner Prozess unterstützte, war er zugleich enttäuscht über das mangelnde Vertrauen, das ihm die Berner Anwälte entgegengebracht hatten. So erkundigte er sich bei Saly Mayer 1935 über den Stand des Prozesses in Bern, schrieb aber zugleich, dass ihm “die Lust vergangen [sei], den Basler Prozess zu Ende zu führen.”
Institutionenporträt
Das Jüdische Museum der Schweiz in Basel wurde 1966 als erstes jüdisches Museum im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet. Die Initiative ging von Mitgliedern des jüdischen Vereins Espérance aus (einer Beerdigungsgesellschaft, Chevra Kaddischa), die bei einem Besuch der Ausstellung “Monumenta Judaica” in Köln 1963/64 Ritualobjekte aus der Basler Judaica-Sammlung entdeckten. Sie entschieden, diese Gegenstände in einem geeigneten Raum in Basel auszustellen. Bei der Eröffnung des Museums 1966 bestand das Jüdische Museum der Schweiz aus zwei Räumen an der Kornhausgasse 8, die der Innenarchitekt Christoph Bernoulli in einem sachlichen Stil ausbaute. Gründungsdirektorin war Katia Guth-Dreyfus, die das Museum über vier Jahrzehnte leitete. Im Jahr 2010 wurde sie von Gaby Knoch-Mund abgelöst. 2015 übernahm Naomi Lubrich die Leitung.
Quellen
Literatur
Mächler, Stefan: Hilfe und Ohnmacht. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die nationalsozialistische Verfolgung 1933-1945, Zürich 2005 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz 10).
Hagemeister, Michael: Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht. Der Berner Prozess 1933-1937 und die «antisemitische Internationale», Zürich 2017 (Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der ETH Zürich 10).
Sibold, Noëmi: Bewegte Zeiten. Zur Geschichte der Juden in Basel von den 1930er Jahren bis in die 1950er Jahre, Zürich 2010 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz 14).
Autor*in
Barbara Häne