1000 Jahre – 10 Geschichten Skandal? Götzendienst und Bilderstreit im Basler Münster

Veröffentlicht am 6.11.2019, zuletzt geändert am 30.1.2024 #Neuzeit

2006 kaufte das Städel-Museum in Frankfurt ein bislang unbekanntes Bild des Basler Malers Hans Bock mit dem Titel “Venustanz”. Es zeigt Frauen unterschiedlichsten Alters bei ihrem nächtlichen Tanz um eine Venusstatue im Basler Münster. Was aber hatte ein solches Bild im orthodox-reformierten Basel um 1600 zu suchen?

Die Renovation des Münsters und der Bilderstreit

1590 beschloss der Basler Rat zum ersten Mal nach der Reformation umfangreiche Renovationsarbeiten am schadhaften Münster in Angriff zu nehmen. Nach längeren Auseinandersetzungen um die Finanzierung wurde 1592 Hans Bock mit der Bemalung der Fassade und der Statuen und mit der Verschönerung der beiden Sonnenuhren beauftragt. Der aus Zabern im Elsass zugewanderte Maler war damals als Porträtmaler bei der Basler Elite ausgesprochen beliebt. Entsprechend genehmigte der Rat am 6. Juni 1592 Bocks Entwurf für die Bemalung des Münsters mit “Gestalten der antiken Mythologie (…) einigen nicht sehr bekleideten weiblichen allegorischen Figuren” und Tieren (R. Wackernagel).

Die Basler Kirche hatte noch nicht lange den Wechsel ins reformiert-orthodoxe Lager zwinglianisch-calvinistischer Prägung vollzogen. Dieses war in der Bilderfrage besonders strikt. Entsprechend protestierte der Vorsteher der Basler Kirche, Johann Jacob Grynäus, heftig. Er mahnte Bock ab und riet ihm statt der “Götzenbilder” schöne Sentenzen bzw. Sinnsprüche an die Wände zu malen. Doch Bock fuhr, unterstützt vom Rat, fort “die götzen zu illuminieren”. Grynäus lancierte daraufhin eine eigentliche Kampagne gegen die “Versudelung” des Hauses Gottes mit “päbstischen und heidnischen Götzen”. Kritisch merkte er an, fromme Leute würden sich an den als nackten Weibsbildern dargestellten heidnischen Tugenden stören, auch wenn die “Italienfreunde” – gemeint waren die humanistischen Gelehrten – sich beim Anblick der poetischen Göttinnen königlich amüsieren würden.

Es kam zu einem jahrelangen Hin und Her zwischen Rat und Geistlichkeit in Sachen Kirchenbemalung. Schliesslich begann am Ostermontag 1597 die eigentliche Renovation des Münsters, die bis Mitte Oktober dauerte, und zu weiteren Auseinandersetzungen um die Bemalung – vor allem von Ritter Georg und dem Heiligen Martin – führte.

Der Venustanz

Doch was hat Bocks Venustanz damit zu tun? Sicherlich war das Gemälde nicht als Bildschmuck für das Münster konzipiert. Bodo Brinkmann – Kurator Alte Meister am Kunstmuseum Basel – schreibt dazu: “Das Thema des Venustanzes ist einzigartig und bislang nicht zufriedenstellend gedeutet. Gewiss ist, dass hier Bildtraditionen des Jungbrunnens, der Lebensalter des Weibes und des Tanzes um das Goldene Kalb amalgamiert werden. Die ungewöhnliche Bildidee passt sowohl zum Bock’schen Erfindungsreichtum als auch in die Gedankenwelt des Manierismus.”

Gemälde: Der "Venustanz" von Hans Bock d. Ä.
Der “Venustanz” von Hans Bock d. Ä. wurde anlässlich der Erwerbung 2006 auf 1570-80 datiert. Die Autorin vertritt jedoch die These, dass das Bild 1597 entstanden ist. Bild: Städel Museum, Frankfurt am Main

Die Venusstatue im Zentrum des Bildes hält in der rechten Hand einen leicht geöffneten Beutel. Dieser symbolisiert Käuflichkeit, aber auch Erotik. Verschiedene Details in Frauendarstellungen rufen Dürers berühmte Hexe auf. Einige Frauen halten Stöcke in den Händen, auf denen sie durch die Nacht fahren könnten. Die Nacktheit der tanzenden Frauengruppe und ihre ekstatischen Körperbewegungen lassen an antike Saturnalien denken, ausgelassene nächtliche Feste zu Ehren des Gottes Saturn. Ortskundige Basler aber fühlten sich angesichts des Zentralbaus mit den beiden Rundfenstern und den Spitz- und Rundbogen wahrscheinlich sofort an den Chor des Basler Münsters erinnert. Ebenso auffällig ist der Bockskopf auf dem Kapitel der Venussäule, mit dem sich Hans Bock ironisch selbst ins Bild setzte.

Ganz rechts im Bild provozieren zwei Frauen den Betrachter durch ihre obszönen Gesten: Am rechten Bildrand sieht eine Frau den Zuschauer verführerisch an, während sie mit der linken Hand ihre Brust präsentiert. Daneben steht leicht gebeugt eine Frau mit Goldhaube, die ihr Schleiergewand anhebt und sich mit der rechten Hand in den Schritt greift. Im Vordergrund zeigt Bock eine weitere Nackte in Frontalansicht auf einem roten Tuch. Damit verweist der Maler auf ein weiteres Bild mit einer praktisch identischen Frauenfigur, diesmal auf weissem Tuch. “Das Bad zu Leuk” aus dem Jahr 1597 erinnert an Darstellungen des Jungbrunnens von Lucas Cranach und zeigt das Baden als kurzweiligen Zeitvertreib, wie er auch bei der Basler Oberschicht beliebt war. Das alles lässt sich fast nur ironisch verstehen. Was aber wird hier ironisch-satirisch kommentiert?

"Das Bad zu Leuk" malte Hans Bock d. Ä. 1597
“Das Bad zu Leuk” malte Hans Bock d. Ä. 1597. Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler

Ein Insider-Witz für die “Italienfreunde”

Noch während das Münster renoviert wurde, erliess der Rat am 12. September 1597 unter Rückgriff auf die Reformationsordnung von 1529 ein neues, strenges Sittenmandat zur Regulierung des christlichen Alltags: die Läden waren auch während der Dienstagspredigt zu schliessen, das Herumlaufen während der Predigten auf den Kirchhöfen, der Rheinbrücke, dem Petersplatz, oder auf anderen Plätzen und in den Gassen wurde unter Strafe gestellt ebenso wie das Schreien, Jauchzen und “geplärs üppiger Lieder”, Gotteslästern, Fluchen und Schwören, üppiges Essen und Übertrinken, Wucher, Hurerei, Ehebruch und andere Unzucht.

Titelblatt des Mandates vom 12. September 1597
Titelblatt des Mandates vom 12. September 1597. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt

Etwa zur gleichen Zeit schrieben sich Studienfreunde aus der Basler Elite derb-zotige, schwankhaft unterhaltsame Briefe im sogenannten Makkaroni-Stil und die künftige männliche Elite der Stadt nutzte Illustrationen aus Ovids Metamorphosen für ihre Freundschaftsalben.

Vor diesem Hintergrund drängt sich der Eindruck auf, dass Bock mit seinen beiden Tag- und Nachtbildern – dem Bad zu Leuk und dem Venustanz – für seine “Italienfreunde” und Auftraggeber aus der Basler Elite einen ebenso geistreich-witzigen wie ironisch unterhaltsamen Kommentar auf Kosten der Geistlichen malte, die sich mit ihrer lästigen Kampagne so hartnäckig gegen die alten Götzenbilder und für die neue Sittlichkeit stark machten.

Das Freundschaftsalbum - ein sogenanntes "Stammbuch" - von Jacob Götz mit einem Eintrag von Sebastian Socin
Das Freundschaftsalbum – ein sogenanntes “Stammbuch” – von Jacob Götz mit einem Eintrag von Sebastian Socin. Die von Socin 1594 illustrierte Seite zeigt die Geschichte von Actaeon und Diana aus Ovids Metamorphosen. Bild: Historisches Museum Basel, Foto: N. Jansen

Quellen

Literatur

Bodo Brinckmann, Venustanz, in: Städel-Jahrbuch 2009, S. 287

Susanna Burghartz, La sexualité au XVIe siècle entre fascination et obsession, in: Les prostestans à l’époque moderne. Une approche anthropologique, sous la dir. d’Olivier Christin et Yves Krummenacker, Rennes 2017, 451-466

Susanna Burghartz, Jagdfreunde? Der liber amicorum des Obersten Basler Schützenmeisters Jacob Götz (1594-1598), in: Sprezzatura. Geschichte und Geschichtserzählung zwischen Fakt und Fiktion, hg. von Lucas Burkart, Camillo von Müller, Johannes von Müller, Göttingen 2016, 103-114

Sarah-Maria Schober, Gesellschaft im Exzess. Mediziner in Basel um 1600, Frankfurt/M. 2019

Rudolf Wackernagel, Die Restauration von 1597, in: Beiträge zur Geschichte des Basler Münsters I, hg. vom Balser Münsterbauverein, Basel 1881

Abbildungen

Abb. 1: Hans Bock, Der Venustanz. Städel Museum, Frankfurt am Main.

Abb. 2: Hans Bock, Das Bad zu Leuk, Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler.

Abb. 3: Mandat vom 12. September 1597, Staatsarchiv Basel, STA Bf 1 A 2-34.

Jacob Götz, Stammbuch,(1594-98), fol. 19v/20r. Historisches Museum Basel, Foto: N. Jansen.

Autorin

Susanna Burghartz, ist Professorin für Geschichte der Renaissance und der Frühen Neuzeit am Departement Geschichte der Universität Basel. Sie ist Teil des Herausgebergremiums der Stadt.Geschichte.Basel.