Rettungsgrabung im Stadtcasino 1000 Jahre Basler Geschichte unter dem Parkett des Musiksaals
Wo nun wieder die Musik den Takt vorgibt, vernahm man ab Herbst 2016 ganz andere Geräusche: Die Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt (ABBS) war zugange, mit Schaufeln, Pickeln, Bohrhammer und Dumper, mit Kellen und Kratzern und einem Bagger. Direkt unter dem Musiksaal sollte ein Keller entstehen, dafür mussten die erwarteten archäologischen Befunde dokumentiert und die Funde geborgen werden. Bekannt war, dass sich an dieser Stelle im 19. Jahrhundert ein Kaufhaus und noch früher zwei Klosteranlagen der Barfüsser befanden. Während rund zehn Monaten deckten die Mitarbeiter*innen der ABBS Funde und Befunde aus rund 1000 Jahren Stadtgeschichte auf.
Draussen vor der Stadt
Die ältesten Funde datieren in die römische Zeit. Sie weisen allerdings nicht auf eine römische Siedlung hin, sondern dürften im Laufe der Jahrhunderte vermutlich vom Münsterhügel in den Bereich des Musiksaals gelangt sein. Greifbar wird eine Entwicklung erst im 11. Jahrhundert. Vereinzelte Gebäude dürften sich in der Auenlandschaft am rechten Birsigufer, am langsam ansteigenden Steinenberg befunden haben. Die Nähe zum Birsig wurde aus verschiedenen Gründen gesucht, brachte aber die Gefahr durch Hochwasser mit sich. Geschiebe und Ablagerungen des Flusses liessen sich unter dem Musiksaal gut beobachten.
Als der Basler Bischof Burkhard von Fenis im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts die erste Stadtmauer errichten liess, lag das Areal ausserhalb des ersten Stadtmauerrings. Die Stadtmauer verlief vom Steinenberg zur heutigen Theaterpassage, führte unter dem Hans Huber-Saal, dem Erweiterungsbau und der Barfüsserkirche hindurch, und stieg von dort zum Kohlenberg auf. Dadurch entstand an der Stelle des Birsigeinlasses eine Art Stadtmauertrichter. Innerhalb der Stadtmauer entwickelte sich die Stadt weiter und griff vielleicht auch bald über die Stadtmauer hinaus.
Die Barfüsser
Erst die sogenannte “Innere Stadtmauer”, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts fertig gestellt wurde, schloss das Areal des Musiksaals in die Stadt mit ein. Die neu entstandene Parzelle wurde sogleich von den Barfüssern in Beschlag genommen. Der franziskanische Bettelorden, der sich zunächst in der Spalenvorstadt niedergelassen hatte, erhielt nun die Möglichkeit, einen Neubau am Stadtrand zu erstellen.
Dieser erste Bau der Barfüsser, eine Kirche mit einem Kloster, wurde archäologisch bereits in den 1970er-Jahren aufgedeckt. Nun konnten unter dem Musiksaal der Kreuzgang und Reste der angrenzenden Gebäude des ersten Klosters freigelegt werden. Die erste Kirche hatte nicht lange Bestand. Vielleicht aus statischen Gründen wurde sie bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts niedergelegt. Es folgten für den Bau der zweiten, heute noch bestehenden Barfüsserkirche massive Aufschüttungen: Die neue Kirche wurde nicht nur grösser, sie stand auch bedeutend höher als die Klostergebäude und der Kreuzgang. Der Kreuzgang wurde nicht angehoben, sondern auf demselben Niveau vergrössert.
Nach der Reformation
Mit der Reformation wurden die Klostergebäude allmählich obsolet. Sie wurden, wie an vielen Orten, einer anderen Nutzung zugeführt. Weil das mittelalterliche “Spital an den Schwellen” (im Bereich Barfüssergasse/Freie Strasse) vielleicht bereits vor der Reformation eine gewisse Kontrolle über das Barfüsserkloster innehatte, kam es nach der Reformation dort zum Zug. Allmählich entstand in den ehemaligen Klostermauern das sogenannte “Almosen”, eine Institution für Verwirrte, für Kranke und unliebsame Stadtbewohner, die man aus dem öffentlichen Leben entfernen wollte.
Das Kirchenschiff der Barfüsser wurde bis ins 18. Jahrhundert als reformierte Kirche genutzt. Das benachbarte ehemalige Kloster blieb bis ins 19. Jahrhundert eine frühe Irrenanstalt. Rund 260 Bestattungen aus dem 16.-18. Jahrhundert konnten im ehemaligen Kreuzgang aufgedeckt werden. Die Skelette, die teilweise Spuren von Gewalteinwirkung und von medizinischen Massnahmen aufweisen, könnten Almosen- oder Spitalpatienten gewesen sein.
Das Kaufhaus
Erst im 19. Jahrhundert war die Behandlung von Almoseninsassen soweit entwickelt, dass man die Zustände im Kloster als untragbar empfand. 1843 wurden der Kreuzgang und die Klostergebäude abgebrochen. An ihrer Stelle wurde das sogenannte “Kaufhaus” errichtet, eine eigentliche Zollstation mit drei markanten Toren zum Barfüsserplatz hin. Bereits fünf Jahre später wurde die Zollstation durch die Gründung des Bundesstaates 1848 überflüssig. Es folgten verschiedene Nachnutzungen, bevor man 1876 entschied, die entstehende “Kulturmeile” am Steinenberg mit einem prominenten Musiksaal zu erweitern. Dadurch war das Areal mitten in der Stadt angekommen.
Eine Grossgrabung im Herzen der Stadt
Die Ausgrabung im Stadtcasino 2016/2017 war logistisch, ausgrabungs- und bautechnisch aus verschiedenen Gründen eine Herausforderung: Eine rund sieben Meter tiefe Unterkellerung in einem grossen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert anzulegen, stellte die Statiker vor einige Aufgaben; wusste man doch nur teilweise, auf welchen Fundamenten der Musiksaal steht.
Für die Unterkellerung mussten rund 2’300 Quadratmeter Aushub – das sind rund 200 voll beladene LKW – von der Archäologischen Bodenforschung ausgegraben und mit Kleinbaggern und Dumpern durch die Türöffnungen des denkmalgeschützten Musiksaals herausgeschafft werden. Und da das Interesse der Öffentlichkeit sehr gross war, konnte man rund 4’000 Besucher*innen ermöglichen, mittels wöchentlicher Führungen einen Blick auf die laufenden Grabungen zu werfen.
Quellen
Literatur
Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt (Hrsg.), 1000 Jahre Basler Geschichte: Archäologie unter dem Musiksaal des Stadtcasino Basel (Basel 2020).
Marco Bernasconi/Simon Graber, Kloster, Kaufhaus, Musiksaal – Vorbericht zu den Baubefunden der Grabung im Stadtkasino Basel 2016/17, Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 75.2, 2018, S. 89–108.
Marco Bernasconi/Simon Graber, Vom mittelalterlichen Kloster zum modernen Konzertgebäude. 800 Jahre Stadtentwicklung: Archäologische Ausgrabungen im Musiksaal des Basler Stadtcasinos, Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt 2016, Basel, 2017, S. 67–102.
Abbildungen
Abb. 1: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Philippe Saurbeck.
Abb. 2: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Philippe Saurbeck.
Abb. 3: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Benedikt Wyss.
Abb. 4: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Adrian Jost.
Abb. 5: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Adrian Jost.
Abb. 6: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Foto: Adrian Jost.
Autor*in
Marco Bernasconi studierte Archäologie, Geschichte und Kunstgeschichte des Mittelalters in Zürich. Er ist seit 2009 Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt und leitet seit 2019 die Abteilung Ausgrabung. Seine Forschungstätigkeit fokussiert er auf Stadtarchäologie und Sakralbauten. Als Gründer und Inhaber von archaeolab entwickelt und begleitet er Rekonstruktionen von historischen und archäologischen Objekten und Szenen.