Hochzeit im Wildensteinerhof
Seit den Tagen des Konzils, als Basel für kurze Zeit im Blickfeld des christlichen Abendlandes stand, gibt sich die Stadt gerne weltmännisch. Von der Führungsschicht und ihrem gehobenen Lebensstil erzählt ein Siegelstempel aus dem Wildensteinerhof.
Eine illustre Gesellschaft
Wir schreiben den 10. April 1456. Eine festlich gekleidete Gesellschaft bewegt sich im Halbdunkel durch die innere St. Alban-Vorstadt. Vom Kunostor, am Eingang der Rittergasse, geht es zum Wildensteinerhof. Dort herrscht geschäftiges Treiben. Aus Hof und Stallungen vernimmt man das Wiehern und Stampfen der eingestellten Pferde. Aus der Küche dringt nicht nur der Lärm der Mägde und Bediensteten, sondern auch der Duft gekochter und gebratener Speisen. In den mit Kerzen und Lämpchen erleuchteten Räumen stehen Tische und Bänke bereit. Allerlei Trink- und Schankgläser, Krüge aus Ton, Schüsseln, Teller und Näpfe mit hölzernen Löffeln sowie Holzbrettchen und Messer decken die festliche Tafel. Die Weinfässer sind angestochen. Sobald die Gäste Platz genommen haben, können die Speisen aufgetragen werden.
Eine illustre Familie
Das Festmahl wird zu Ehren eines Brautpaars abgehalten: Junker Hans Knüttel verbindet sich mit Elsina von Ramstein, einer geborenen Münch.
Die Biografie von Elsina zeigt, wie vielfältig die Besitzverhältnisse und Beziehungsnetze der Basler Oberschicht zu jener Zeit sind: Ihr Vater, Hans Thüring Münch, Burgherr von Münchenstein, war in Basel Erzpriester und Propst von St. Ursanne. Er trat 1419 von seinen kirchlichen Ämtern zurück und heiratete seine Konkubine, Fröwelin von Eptingen Wildenstein.
Der Wildensteinerhof
Der Wildensteinerhof war ursprünglich im Besitz von Jecklin von Wildenstein, dem Bruder der Fröwelin, und erhielt von ihm seinen Namen. Nicht beglichene Schulden führten 1444 aber zur gerichtlichen Versteigerung des Anwesens. Neuer Besitzer wurde der erste Gatte von Elsina von Ramstein, Peter von Ramstein, Bürgermeistersohn und Söldner im Dienste Basels. Nach dessen Tod 1451 übertrug Elsina den Wildensteinerhof an ihren älteren Bruder, Conrad Münch von Löwenberg, um sich den Forderungen ihrer Gläubiger zu entziehen. Aus diesem Grund taucht das Anwesen in Dokumenten auch unter der Bezeichnung “Löwenbergerhof” auf.
Ein Siegel verschwindet …
Im Wildensteinerhof lässt sich Elsina zum zweiten Mal als Braut feiern; auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Tod ihres ersten Gatten. Mit der Heirat ändert sie ihren Namen ein weiteres Mal, und ihr bronzener Siegelstempel, den sie bisher zum Besiegeln wichtiger Dokumente verwendet hat, verliert seine Gültigkeit. Er wird zerbrochen und zusammen mit Küchenabfällen, Speiseresten und zu Bruch gegangenem Geschirr im Latrinenturm entsorgt.
Heute präsentiert sich der Wildensteinerhof in der St. Alban-Vorstadt 30/32 als spätbarockes Stadtpalais, welches der Bandfabrikant Jacob Christoph Frey 1775/76 für sich errichten liess. Die Gestalt und die genaue Lage des einstigen Wildensteinerhofs kennen wir nicht. Es handelte sich um eine Gruppe von Häusern, Stallungen und Wirtschaftsgebäuden, die auf der dem Rhein abgewandten Seite der Vorstadt standen.
… und kommt wieder ans Licht
Bei Ausgrabungen im Jahr 1996 legte die Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt unter dem sogenannten “Sommerflügel” Überreste der Vorstadtbefestigung frei: ein Abschnitt der Wehrmauer mit halbrundem Wehrturm, der vorgelagerte Wehrgraben sowie die zugehörige Kontermauer.
Nach dem Erdbeben von 1356 umgab man die Stadt mit einer Befestigung, die alle Vorstädte miteinfasste. Dadurch verloren die Wehrbauten der inneren St. Alban-Vorstadt ihre ursprüngliche Funktion und wurden fortan anders genutzt. Der halbrunde Wehrturm beim Wildensteinerhof diente zu Elsinas Zeit den Anwohnern als Latrinenturm und zur Entsorgung von Müll und defektem Hausrat. Hier kam bei den archäologischen Ausgrabungen Elsinas Siegelstempel wieder ans Licht.
Quellen
Publikationen
Guido Helmig u. a., … und was davon übrig bleibt – Untersuchungen an einem mittelalterlichen Latrinenschacht an der Bäumleingasse 14. Jahrbuch Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt 20, 1992, 93-131.
Autor*in
Guido Helmig ist Archäologe im Ruhestand. Als langjähriger Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt legte er seinen Forschungsschwerpunkt auf die archäologische Untersuchung der Frühgeschichte Basels. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.