Die Stärke der Frauen ist ihre Zahl und ihre Unentbehrlichkeit.
Mann und Frau sind gleichberechtigt – so steht es seit 1981 in der Schweizer Verfassung. Die Umsetzung dieses Gleichstellungsartikels liess auf sich warten. Deshalb nahmen am 14. Juni 1991 Frauen aus der ganzen Schweiz am Frauenstreik teil – auch in Basel. Zuhause, im Quartiertreff, in Firmen und auf öffentlichen Plätzen beteiligten sich Basler Frauen mit diversen Protestaktionen am Streik.
Genug mit der Geduld:
Wir wollen endlich Taten sehen.
«Ich bin nicht hier», stand auf den T-Shirts, die Frauen einer Buchhandlung an Teilnehmerinnen des Demonstrationszugs der Basler Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen verteilten. Rund 4000 streikende Frauen zogen mit Kindern und Transparenten vom Münsterplatz bis zum Barfüsserplatz. Aber nicht nur im öffentlichen Raum machten Frauen ihren Unmut sichtbar, auch zuhause im Privaten verweigerten Frauen am Streiktag die Hausarbeit. Ganz nach dem Motto: „Die Stärke der Frauen ist ihre Zahl und ihre Unentbehrlichkeit.“
Das Datum war nicht zufällig gewählt. Es erinnerte an den 14. Juni 1981, als der Gleichstellungsartikel vom Schweizer Stimmvolk mit 60,3 Prozent Ja-Anteil angenommen worden war. An diesem Tag hatte die Eidgenossenschaft nicht nur die „Gleichberechtigung“ von Frauen und Männern in die Verfassung geschrieben. Sie hatte sich auch den Auftrag gegeben, auf dem Gesetzesweg rechtliche und tatsächliche Gleichstellung in Familie, Ausbildung und Arbeit zu schaffen. Nur: 10 Jahre später lag immer noch kein Gleichstellungsgesetz vor – und damit auch keine Handhabe, um beispielsweise die den Frauen zustehende Lohngleichheit einzuklagen. Besonders mit Blick auf diesen Aspekt der Lohnungleichheit – von durchschnittlich 30 Prozent – war der Geduldsvorrat vieler Frauen ausgeschöpft.
So ging es beispielsweise den Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux: Im Jahr 1990 stellten sie fest, dass sie weniger verdienten als die Männer, die von ihnen angelehrt wurden. Diese Ungerechtigkeit mochten sie nicht mehr hinnehmen und eine einfache Kundgebung genügte ihnen nicht. Sie wandten sich mit der Idee eines grossen Streiks an ihre Gewerkschaft. Nach anfänglichem Widerstand beschloss der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) im Oktober 1990 einstimmig die Vorbereitung eines Frauenstreiks. Es wurde ein Forderungskatalog formuliert, der zur Basis für die Forderungen des Frauenstreiks 1991 werden sollte.
- Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
- Gleiche Aufstiegschancen.
- Erziehung der Kinder zur Gleichberechtigung und Partnerschaft.
- Gut geführte Kinderkrippen und Tagesschulen.
- Förderung des Wiedereinstiegs von Frauen in die Arbeitswelt.
- Besseren Mutterschutz, gleiche Krankenkassenprämien
- Anerkennung von Betreuungsaufgaben und Hausarbeit durch die AHV
- Teilzeitstellen auf allen Ebenen: Reduktion der Arbeitszeit für alle
Die Forderungen sprachen neben dem Missstand der Lohnungleichheit auch andere Ungleichheiten an: Die mehrheitlich von Frauen verrichtete Haus- und Sorgearbeit galt (und gilt immer noch) nicht als Erwerbsarbeit und begründete keine Ansprüche auf Altersrente. Frauen im Rentenalter waren finanziell von ihren Ehemännern abhängig und eine Scheidung barg unweigerlich das Risiko für Altersarmut. Mit diesen diversen Forderungen als Grundlage wurde der Streiktag nun schweizweit organisiert.
Dieses Vorhaben an sich war bereits eine Provokation. Denn das Streiken als politisches Druckmittel war in der Schweiz nach dem 2. Weltkrieg eine Ausnahme geworden, der so genannte Arbeitsfrieden ein allgemein verbindlicher Wert. Doch konnte die Frauenbewegung der 1990er Jahre nicht nur an den Frauenstreik der Isländerinnen von 1975 anknüpfen, sondern auch an eine reichhaltige und lange Geschichte feministischer Kämpfe in der Schweiz. Immer wieder hatten Frauen auch hier ihrem Unmut mit verschiedenen Protestformen Ausdruck verliehen. In den 1860er Jahren verfassten Frauen zuerst in Sissach, dann auch im Kanton Zürich Petitionen, in denen sie Zugang zu Bildung, ein egalitäres Erbrecht und politische Rechte forderten. 1930 versammelten sich in Biel rund 800 Frauen, forderten die Wiedereinführung der Hauslieferung von Milch und zwangen die Milchhändler in einen regelrechten „Milchkrieg“. 1959 legten Basler Lehrerinnen aus Unmut über den negativen Ausgang der ersten eidgenössischen Volksabstimmung über das Frauenstimmrecht für einen Tag ihre Arbeit nieder. Am 1. März 1969 versammelten sich tausende von Frauen beim so genannten „Marsch auf Bern“ auf dem Bundesplatz, um ihrer Forderung nach dem Frauenstimmrecht Ausdruck zu verleihen.
Der angekündigte Frauenstreik 1991 nahm jedoch bisher ungekannte Dimensionen in der Geschichte der Schweizer Frauenproteste an. Dabei stellte sich auch die Frage nach dessen Legalität. Dieser Sorge konnten die Demokratischen Jurist_innen Schweiz (DJS) entgegenwirken: Sie kamen zum Schluss, dass «[i]n Abwägung der verschiedensten Rechtsgüter der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung eindeutig Vorrang [hat].» Der Streik war somit legal und dessen Durchführung stand nichts mehr im Weg.
Wenn Frau will, steht alles still
Am 14. Juni 1991 legten Frauen schweizweit um 11 Uhr eine 5-minütige Protestpause ein, wobei sie – unabhängig von Ort und Tätigkeit – ihre Arme verschränkten. Abgesehen von dieser nationalen Aktion war der Streiktag dezentral organisiert. Auch in Basel fand er statt, und auch in Basel agierten Frauen auf verschiedenen Schauplätzen. Nebst dem Engagement zahlreicher individueller Frauen und Gruppierungen, wurde die Organisation des Streiks in Basel und Umgebung vom Gewerkschaftsbund, von der OFRA (Organisation für die Sache der Frau) und der POB (Progressive Organisation Basel) den Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, den Hausfrauen, der LIBS (Verein Lesbeninitiative Basel) und der BaZ getragen.
Der Aufruf zum Streik wurde in zahlreichen Printmedien wie Broschüren, Flugschriften und Zeitschriften publiziert, welche die Gründe, Forderungen und Aktionen aufführten. Ein solcher Aufruf kam beispielsweise von den «Familienfrauen» (vgl. Illustration Flyer oben), die mehr Anerkennung für ihre Leistungen forderten. Dazu riefen sie alle Hausfrauen auf, den Besen ins Fenster zu hängen, sich im Schützenmattpark von der Männerküche bekochen zu lassen und abschliessend mit Staubsaugern und Besen durch die Freie Strasse zu ziehen, wo sie auf Liegestühlen ihre Forderungsliste präsentierten. Weitere Aktionen in und um Basel sind auf dieser Karte eingezeichnet.
Im Archivmaterial finden sich Hinweise auch auf Diskussionen um die Beteiligung der Männer am Frauenstreik. «Männer seid solidarisch!», appellierte etwa das Flugblatt des Kantonsspitals Basels an die Männer. Am Streiktag sollten die Männer frauenspezifische Arbeiten übernehmen, wie etwa Kinderfürsorge, Haushalten oder Kochen, wovon beispielsweise die zahlreichen männlichen Streikküchen unter anderem auf dem Claraplatz, dem Barfüsserplatz und im Schützenmattpark zeugen.
Taten statt Worte
Noch am Abend des Streiktages publizierte das DRS (heute SRF) einige Berichte zum Geschehen in Basel und begleitete dort auch die «Alternative City-Fahrt». Mit Lautsprecheranlage und VW-Bus wurden zahlreiche Betriebe angefahren, etwa die Kiosk AG, die Zentralwäscherei und die Basler Zeitung. Ziel war es, Frauen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen und / oder mit Lohnungleichheit zu kämpfen hatten, zum Streiken aufzufordern beziehungsweise ihnen die Teilnahme zu ermöglichen, indem der Streik zu ihnen kam. Augenfällig am Bericht des Schweizer Fernsehens ist, dass die meiste Redezeit Männern gewidmet wurde, während die Forderungen der Frauen einen vergleichsweise kleinen Raum einnahmen.
Die Reaktionen auf den Frauenstreik waren durchaus zwiespältig – vor und auch nach dem Streiktag. Während gewisse Zeitschriften und Zeitungen sich unterstützend aussprachen, äusserten sich andere Medien wie zum Beispiel der Blick, negativ. Sie sorgten sich spöttisch um das Image der Frau sowie um Konsequenzen für Arbeitsplatz und Partnerschaft. Manchen war der Streikbegriff zu radikal. Es wurde der Vorwurf laut, Frauen würden selber Schuld an der Ungleichheit tragen, mit der Streikteilnahme würden sie riskieren, sich lächerlich zu machen oder gar ihre Kündigung zu erhalten.
Die Wirkung einer Aktion, wie sie der Frauenstreik war, ist schwer zu messen, sicher aber hatte er Wirkung. Zeitzeug*innen messen dem Frauenstreik eine grosse Rolle beim weiteren Kampf um gleiche Rechte bei. Ohne den Schub dieses Tages hätten viele Frauen* resigniert und sich mit der Ungerechtigkeit abgefunden, ist Historikerin und Zeitzeugin Anita Fetz überzeugt. Im Anschluss an den Streik bildeten sich Frauenlisten, die dazu führten, dass politische Ämter vermehrt von Frauen eingenommen wurden. Die starke und rasche Mobilisierung im Zuge der Nichtwahl von Christine Brunner wird von Historikerinnen ebenfalls als Effekt des Frauenstreiks interpretiert. Unter dem Druck der Proteste wurde Ruth Dreifuss als zweite Frau in den Bundesrat und zur ersten Bundespräsidentin gewählt. Schliesslich erzeugte der Frauenstreik Druck auf die Ausarbeitung eines Gleichstellungsgesetzes, das 1996 verabschiedet werden konnte. Und was die weniger sichtbaren, aber ebenso bedeutsamen Wirkungen betrifft, war der Tag für viele einzelne Frauen eine nachhaltige Erfahrung von Solidarität und gemeinsamer Stärke.
Frauenstreik 2019: Generationen- und geschlechterübergreifend
Dass aber die Forderung der Frauen nach Gleichstellung auch nach 1991 aktuell geblieben ist, zeigen nachfolgende Ereignisse. So feierten Frauen 2011 das zwanzigjährige Jubiläum des Frauenstreiks, um mit einem Aktionstag auf die noch immer nicht erreichte Gleichstellung aufmerksam zu machen. Und 2019 finden Frauen* aus der ganzen Schweiz: «es muss endlich einen grossen Schritt vorangehen. Weil wir bisher auf taube Ohren stossen, werden wir unseren Argumenten und Forderungen nun streikend Gehör verschaffen». Auch 2019 stehen Lohnungleichheit, mehr Anerkennung für Care-Arbeit und eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf noch immer im Forderungskatalog; auch die spezifische Diskriminierung von Migrant*innen bleibt ein Thema.
Gegenüber 1991 stark in den Vordergrund getreten sind heute Fragen der geschlechtlichen Identität sowie der sexistischen, trans- und homophoben Gewalt. Und das politische Subjekt des Frauenstreiks ist umstrittener und diffuser geworden: 1991 war die Frau das eindeutige Subjekt des Streiks. Heute ist nicht festgeschrieben, was Frau* umfasst und ob nur Frauen* politisches Subjekt des Frauen*streiks sind. Aus diesem Grund kam es auch zu Diskussionen um den Namen des Streiks: Soll er „Frauenstreik“ heissen, „Frauen*streik“ oder „Feministischer Streik“? Die Meinungen sind geteilt, aber die Bewegung hat sich davon nicht spalten lassen und so stehen auf manch einem Flyer und manch einer Webseite verschiedene Bezeichnungen nebeneinander.
Trotz der Differenzen, ohne seine Vorstreiter*innen wäre der Frauen*streik 2019 nicht zu denken. Der 14. Juni 2019 baut auf den Erfahrungen vom 14. Juni 1991 auf. Grossmütter, Mütter, Enkelinnen, LGBTQI+ und solidarische Männer* sind aufgefordert, sich generationen- und geschlechterübergreifend am Streik zu beteiligen. So reiht sich der Streik von 2019 in eine Geschichte der feministischen Proteste – rund um die Welt und in Basel.
Quellen
Archivbestände
Bestände im Staatsarchiv Basel-Stadt
Bestände im Archiv der Gosteli-Stiftung
Dokumentation
Frauenstreik – gestern und heute
Sachdokumentation des Schweizerischen Sozialarchivs
Lexika
Eintrag zum Frauenstreik im Basler Stadtbuch
Eintrag zur Frauenbewegung im Historischen Lexikon der Schweiz
Eintrag zum Frauenstreik im Historischen Lexikon der Schweiz
Autor*innen
Dieser Beitrag wurde von Oriana Fasciati, Aurelia Rohrmann und Tamara Suter verfasst. Er entstand im Rahmen des Seminars „Von Petition bis Streik. Feministische Kämpfe in der Schweiz“ unter der Leitung von Caroline Arni am Historischen Departement der Universität Basel. Die Verfasserinnen danken allen Seminarteilnehmerinnen für die Vorarbeiten und gemeinsamen Diskussionen, auf denen diese Darstellung aufbaut. In diesem Text wird „Frau“ ohne Asterisk gesetzt, wenn es um Akteurinnen in der Vergangenheit geht, mit Asterisk, wenn die Gegenwart behandelt wird.