Basel zur Zeit der Münsterweihe 1019: Rätsel Nr. 5 Was war der ursprüngliche Bestimmungsort des Basler Antependiums?
Das Basler Antependium aus Goldblech und Eichenholz war das Herzstück der Ausstellung “Gold und Ruhm” im Kunstmuseum Basel. In der Kunstgeschichte nimmt es als eine der wenigen erhaltenen ottonischen Altartafeln einen einzigartigen Rang ein. Noch immer gibt das Geschenk des ostfränkischen Kaisers Heinrich II. zur Münsterweihe einige Rätsel auf. Im Besonderen stellt sich die Frage: War das Prunkstück ursprünglich tatsächlich für Basel bestimmt?
Ein Bildprogramm, das nicht so recht passen will
Die Rätsel rund um die Altartafel beschäftigen die Forschung noch heute. Wo wurde sie hergestellt? Kam sie anlässlich der Münsterweihe im Oktober 1019 nach Basel? Und war Basel überhaupt ihr ursprünglicher Bestimmungsort? Gemäss jüngsten Forschungen stammt das Antependium aus einer Goldschmiedewerkstatt in Bamberg und wurde tatsächlich im Rahmen der Münsterweihe gestiftet.
Schwieriger wird es bei der Frage nach dem Bestimmungsort. Denn das Bildprogramm der Tafel will so gar nicht zu den Schutzheiligen – den sogenannten “Patrozinien” – des Basler Münsters passen. Zur Zeit der Münsterweihe umfassten diese die Mutter Gottes, Johannes der Täufer und die Evangelisten. Die Altartafel bildet jedoch zur Rechten von Jesus zuerst den Erzengel Michael und anschliessend den Begründer des Benediktinerordens, Benedikt von Nursia, ab. Zur Linken stehen die Erzengel Gabriel und Raphael. Diese Konstellation lässt Basel als Bestimmungsort nicht besonders plausibel erscheinen.
Das Kloster Michelsberg in Bamberg
Bekanntlich soll es aber für jeden Topf einen passenden Deckel geben, und dies wäre im Falle der Altartafel wohl das Kloster Michelsberg in Bamberg. Die Benediktinerabtei wurde 1015 gegründet und auf dem Michelsberg, auch mons anglorum genannt, errichtet. Für Heinrich II. – ein glühender Verehrer von Benedikt von Nursia – war das Bistum eine Herzensangelegenheit. Die Altartafel hätte darum besser nach Bamberg gepasst. Warum kam es offensichtlich anders?
Der “Investmentstreit” um Montecassino
Neben dem Bistum Basel beschenkte Heinrich auch die Abtei Montecassino – das Mutterkloster der Benediktiner und Grabstätte des Benedikts von Nursia. Dass der Heilige Benedikt an Heinrich eine Wunderheilung vollbracht haben soll, war allerdings nicht der einzige Grund für die kaiserlichen Zuwendungen. Montecassino stand während der gesamten Regierungszeit des ostfränkischen Kaisers im Zentrum eines Machtkampfs zwischen ihm und dem byzantinischen Kaiser, Basileios II., um die Vorherrschaft über Süditalien.
Das Kloster lag dabei relativ nahe der Grenze zwischen den beiden Imperien. Im Jahr von Heinrichs Kaiserkrönung, 1014, beschenkte er das Kloster erstmals mit weitreichenden Privilegien. Basileios bedachte im Jahr 1018 die Abtei ebenfalls und konnte sie so auf seine Seite ziehen. Die beiden Kaiser scheinen sich dabei einen regelrechten “Investmentstreit” um politische und geostrategische Vorteile geliefert zu haben. Heinrich lernte aus diesem Konflikt möglicherweise vor allem eines: befindet sich eine wichtige Bastion nahe der Grenze, ist sie mit möglichst grossen Investments zu sichern.
Der Schrecken des burgundischen Adels
In Basel investierte Heinrich lange vor dem Konflikt um Montecassino. Rudolf III., König von Burgund, blieb ohne Kinder und beabsichtigte, nach seinem Tod sein Herrschaftsgebiet an Heinrich abzutreten; denn Heinrich war sein nächster männlicher Verwandter. Zunächst ging Basel deshalb als Pfand im Jahr 1006 an das ostfränkische Reich. Heinrich hatte auch in diesem Bistum kein Interesse an einem einflussreichen Adel und stärkte nicht die weltlichen, sondern die kirchlichen Machtträger. Er bedachte das Bistum mit Schenkungen und besonderen Privilegien und baute die Stadt am Rhein zum Brückenkopf ins burgundische Königreich und zum Ausgangspunkt nach Italien aus.
Je näher der Erbschaftsübergang rückte, desto angespannter wurde der burgundische Adel. Er sah seine Unabhängigkeit gefährdet. 1016 und 1018 begehrten die burgundischen Grossen auf und der Kaiser markierte durch einige militärische Vorstösse ins Burgund Präsenz. Offensichtlich hatte sich für Heinrich der Ausbau der Stadt zum Brückenkopf zwischen dem Ostfrankenreich und dem Burgund gelohnt, denn die Feldzüge führten über Basel. Für Heinrich befand sich Basel in einer Grenzregion, in der die Machtverhältnisse von mehreren Seiten in Frage gestellt wurden – wie im Falle von Montecassino.
Warum Basel doch gut passt
Bei seinen Bemühungen, die Zugehörigkeit Basels zum ostfränkischen Reich zu festigen, blickte Heinrich vielleicht auf seine jüngst gemachten Erfahrungen mit Montecassino zurück. Zwar tobte um Basel kein Investmentstreit zwischen zwei Kaisern. Doch bei beiden Konflikten ging es um territoriale Besitzansprüche, die wir “Gegenwartsmenschen” mit unseren klar strukturierten staatsrechtlichen Systemen heute gar nicht mehr kennen.
Montecassino hat Heinrich gelehrt, dass stets noch grössere Investitionen nötig sein können, um ein Gebiet zu halten. Um seinem Anliegen im Bistum Basel noch mehr Gewicht zu verleihen, “lud” Heinrich im Rahmen der Münsterweihe, nach all seinen Gaben, mit der Goldenen Altartafel deshalb “noch einmal nach”. Die Bedeutung des Bildprogramms wurde damit hinfällig, denn das Antependium diente nicht vorrangig einer liturgischen Bestimmung, sondern dem politischen Kalkül und den geostrategischen Plänen des Kaisers. Für die politischen Zwecke Heinrichs war der perfekte Bestimmungsort für die Tafel somit tatsächlich Basel.
Quellen
Literatur
Braun, Joseph: Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung. Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken (Bd. 2), München 1924, S. 93 ff.
Fehlmann, Marc; Matzke, Michael; Söll-Tauchert, Sabine (Hgg.): Gold und Ruhm. Kunst und Macht unter Kaiser Heinrich II., München 2019.
Pfaff, Carl: Kaiser Heinrich II. Sein Nachleben und sein Kult im mittelalterlichen Basel (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 89), Basel und Stuttgart 1963.
Söll-Tauchert, Sabine: Die Goldene Altartafel – ein kaiserliches Geschenk für das Basler Münster, in: Fehlmann, Marc; Matzke, Michael; Söll-Tauchert, Sabine (Hgg.): Gold und Ruhm. Kunst und Macht unter Kaiser Heinrich II., München 2019, S. 234-244.
Weinfurter, Stefan: Die Zentralisierung der Herrschaftsgewalt im Reich durch Kaiser Heinrich II., in: Historisches Jahrbuch 106, 1986, S. 241-297.
Abbildungen
Abb. 1: Historisches Museum Basel, Foto: P. Portner.
Autor*in
Salome Bender ist immer bestrebt, die manchmal etwas fremd anmutenden gesellschaftlichen und politischen Praktiken des Mittelalters mit unserer modernen Gedankenwelt zu verknüpfen und sie so verständlich zu machen. In dieser Mission ist sie auch regelmässig als Rundgangsleiterin des Vereins Frauenstadtrundgang Basel in den historischen Gassen Basels anzutreffen.