1000 Jahre – 10 Geschichten Stadtgeschichte als Gottesdienst
Die Ausstellungen und Veranstaltungen, die zurzeit an die Münsterweihe vor tausend Jahren erinnern, sind eng mit Kaiser Heinrich II. verbunden. Denn Heinrich und seine Ehefrau Kunigunde waren Ehrengäste, als Bischof Adalbero I. am 11. Oktober 1019 den neuen Kirchenbau feierlich weihte. Heinrich II. gilt in Basel als grosser Wohltäter. Er hat die Stadt ins Reich integriert und den Bischof als werdenden Stadtherren mir Rechten und Privilegien ausgestattet und damit politisch gestärkt. Schliesslich hat er das Münster mit Schätzen bedacht, die im Wortsinn Geschichte machen sollten: einen monumentalen Kronleuchter, ein prächtiges Evangelienbuch, kostbare Textilien, Reliquien sowie eine goldene Altartafel.
Etappen der Erinnerung
Aus diesem Gründungsereignis heraus ist die Erinnerung an Heinrich II. historisch gewachsen – in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und verschiedene Richtungen. Im Jahr 1146 wurde Heinrich II. und im Jahr 1200 Kunigunde heiliggesprochen. 1347 kamen Partikel ihrer sterblichen Überreste von Bamberg nach Basel. Bischof, Rat und Bürgerschaft begrüssten die Reliquien noch ausserhalb der Bannmeile, um sie feierlich in die Stadt zu geleiten.
Zum Gedenken an diese “heilige Sendung” erklärte der Bischof den Sonntag nach Allerheiligen zum Festtag. Wie auch am Heinrichstag – am 13. Juli – gedachten Domkapitel, Zünfte und Rat künftig gemeinsam des “heiligen Kaisers”. Noch um 1500 führte bei beiden Anlässen eine feierliche Prozession “Volk und Geistlichkeit mit der höchsten Feierlichkeit” durch das Münster, über den Münsterplatz und zurück ins Kircheninnere, wo eine Messe gefeiert wurde.
So steht es in einem Handbuch über die Kirchfeste am Basler Münster von 1517. Verfasser dieses Ceremoniale war Hieronymus Brilinger (1469-1537). Der gebürtige Basler hatte an der heimischen Universität Kirchenrecht studiert und als Geistlicher Karriere gemacht. Er startete als Priester zu St. Peter, schaffte dann den Sprung ins Domkapitel und wurde 1505 schliesslich Rektor der Universität. Sein Ceremoniale entstand in einer Zeit, als die Erinnerung an Heinrich II. und seine Gaben bereits auch zur Bühne von Auseinandersetzungen geworden war.
Divergierende Interessen
In seinem Text erscheint das Gedächtnis an Heinrich und Kunigunde zunächst als harmonisches Miteinander von bischöflichem Stadtherrn, Klerus, Rat und Zünften. Doch indem er allen Beteiligten unmissverständlich ihren Platz in der überlieferten (Prozessions-)Ordnung zuwies, bekundete Brillinger auch seine Ablehnung gegenüber religiösen und politischen Neuerungen. Die memoria an den Wohltäter des Münsters, an das heilige Kaiserpaar und den Stadtpatron hatte unter kirchlicher Regie stattzufinden: “Der Zelebrant ist angetan mit Alba und Chormantel, hat um die Schultern ein flatterndes Tuch geschlagen und trägt so die Monstranz mit den heiligen Reliquien St. Heinrichs. An seiner Rechten schreitet der Diakon, seine Schultern ebenfalls mit einem seidenen Tuch bedeckt und die andere Monstranz mit den Reliquien der heiligen Kunigunde haltend.”
Der Domkaplan sprach Rat und Zünften die Teilnahme keineswegs ab, reklamierte für das Domkapitel jedoch die Rolle des “Gatekeeper” in Sachen Erinnerung, Tradition und Herrschaftslegitimation. Damit versprachen die Heinrichsreliquien und der Münsterschatz als Ganzer, sogar die enorme finanzielle Verschuldung symbolisch aufzuwiegen, die Bischof und Klerus gegenüber der Stadt angehäuft hatten. Das Ceremoniale war also auch eine Antwort des Domkapitels auf die ökonomische Abhängigkeit der geistlichen Herren von der Stadt; es hielt mit dem symbolischen Kapital der Heilserwartung dagegen, das exklusiv vom Domklerus verwaltet wurde.
Zugleich vertrat Brillinger die Interessen des Domkapitels gegen Bischof Christoph von Utenheim (im Amt von 1502 – 1527). Dieser hatte bald nach seinem Amtsantritt eine Versammlung zur Reform des Klerus einberufen und später Reformer wie Wolfgang Capito und Johannes Oekolampad zu Münsterpredigern ernannt. Die Reformbemühungen des Bischofs scheiterten jedoch und zwar vornehmlich am Widerstand des Domkapitels.
Auch das Verhältnis zur Stadt vermochte der Bischof nicht zu verbessern. Hatte ihm der Rat 1506 zwar noch den Schwur geleistet, erklärte er 1521 den Einfluss des Bischofs auf die städtischen Angelegenheiten für nichtig und setzte so formell den Endpunkt der bischöflichen Stadtherrschaft. Entsprechend sieht sich der Bischof auch im Ceremoniale ganz ans Ende gesetzt. Brilinger schrieb lapidar: “Wenn der Bischof von Basel an der Prozession teilnimmt, schreitet er am Schluss des Zuges hinter den Trägern der Reliquien einher, noch gefolgt von zwei Ehrenkaplänen.” Die Abwesenheit des Bischofs war damals schon die Regel. Dem konservativen Domherren Brilinger schien sie recht zu sein.
Die Form der Geschichte
Brilingers (kirchen-)politische Haltung scheint heute wenig zukunftsorientiert. Doch war Hieronymus Brilinger keinesfalls weltfremd. Er war humanistisch gebildet, Rektor der Universität und vielgereist. Er kannte Rom, forschte in Deutschland nach antiken Altertümern. Nur waren für ihn kirchliches Gedenken und städtische Geschichte untrennbar miteinander verbunden, und auch die neuen Methoden des Humanismus stellte er ganz in den Dienst dieser Vorstellung. 1510 untersuchte er im Auftrag des Domkapitels das Grab der Königin Anna (1225-1281) im Münster. Den “(Be-)Fund”, nämlich Annas Krone, eine Halskette und einen Ring, entnahm er und überführte die Objekte in den Münsterschatz.
Für ihn war alle Geschichte eingebettet in die christliche Heilserwartung. Die kirchliche Liturgie – der Gottesdienst des Domkapitels – gab dafür einen verlässlichen Rahmen. Brilinger verleibte die Resultate seiner “archäologischen” Nachforschungen dem Münsterschatz auch deshalb ein, weil dieser für ihn das nachhaltigste Repositorium für Geschichte war. Städtische Geschichte stand selbst im Dienste Gottes. Nur so war sie gefeit gegen Vergessen und liess zugleich auf Erlösung hoffen.
Quellen
Literatur
Hieronymus Brilinger, Ceremoniale Basiliensis Episcopatus. In: Konrad Wilhelm Hieronimus (Hrsg.), Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter (Quellen und Forschungen) (Basel 1938) 97–320.
Abbildungen
Abb. 1: Basler Antependium: Wikimedia, Foto: Von Thomon (CC BY-SA 4.0).
Abb. 2: Kaiserpaar-Monstranz: Historisches Museum Basel, Foto: N. Jansen.
Abb. 3: Kunigunden-Monstranz: Historisches Museum Basel, Foto: N. Jansen.
Abb. 4: Grab der Königin Anna: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Foto: R. Walti.
Autor*in
Lucas Burkart ist Herausgeber von Band 3 (1250-1550) der neuen Basler Stadtgeschichte. Er hat in Basel und Bologna studiert und wurde nach wissenschaftlichen Stationen in London, Bonn, Verona und Venedig 1998 promoviert. Eine Assistenzstelle in Basel sowie ein ausgedehnter Forschungsaufenthalt am Schweizer Institut in Rom markierten den Weg zur Habilitation (2005). Von 2007 bis 2012 hatte er SNF-Forschungsprofessur in Luzern inne. Seit 2012 ist er Professor für Geschichte des Spätmittelalters und der Renaissance an der Universität Basel. In aktuellen Forschungsvorhaben untersucht er die Bedeutung des Materiellen für kulturelle und soziale Identitäten im Venedig der Renaissance und analysiert, wie digitale Technologien für die historische Forschung gewinnbringend verwendet werden können.