1000 Jahre – 10 Geschichten Im Basler Münster zuhause: Brzpf, die Wichtelfrau
Eines der schönsten Basler Kinderbücher handelt von der Münster-Wichtelfrau “Brzpf”. Es entstammt der Feder von Anna Regula Hess und zeugt vom Kinderbuchschaffen der späten 1970er-Jahre: “Brzpf” spielt in einer Fantasiewelt und verweist zugleich auf Themen ihrer Zeit wie die Umwelt- oder die Frauenbewegung.
Basel im Kinderbuch
An Basler Kinderbüchern mangelt es nicht. So sind etwa baselspezifische Wimmelbücher oder “Em Schuggi sy Basel” aus dem Jahr 1989 auf dem Markt, um nur einige bekannte Beispiele zu nennen. Sie spielen im Zoo und an ikonischen Orten wie dem Marktplatz, oder sie handeln von stadttypischen Ereignissen wie der Fasnacht.
Weniger Realitätstreue beweist das Kinderbuch zur Münster-Wichtelfrau mit dem zungenbrecherischen Namen “Brzpf”. Brzpf bewohnt das Münster und erlebt ihre Abenteuer rund um den Münsterplatz. Das Basler Münster ist Kulisse einer Fabelwelt, zugleich greift das Kinderbuch von 1980 Themen seiner Zeit auf. Brzpf ärgert sich etwa über den mit Autos zuparkierten Münsterplatz oder schreibt auf ein Protesttransparent gegen die Rheinverschmutzung in Grossbuchstaben: “VÜR DIE ARMEN VISCHELEIN SOL DER REIN REIN SEIN”.
Neue Kinder- und Jugendliteratur nach 1968
Mit gesellschaftskritischen Tönen und Sprachwitz steht “Brzpf” ganz im Zeichen einer neuen Kinder- und Jugendliteratur nach 1968. Auch in der Schweiz veränderte sich die Kinder- und Jugendbuchlandschaft in den 1970er-Jahren, wenngleich die Erneuerung weniger früh stattfand und weniger dringlich als in Deutschland war, wo sich die Literatur nach der Indienstnahme durch die Nazizeit quasi neu erfinden musste.
Inhaltlich wie auch formal zeichnete sich die Kinderliteratur nach 1968 durch neue Elemente aus. Neue pädagogische Konzepte beförderten diesen Aufbruch. So wandten sich Neuerscheinungen vermehrt der realen Welt zu – andere als “heile Welten” fanden Platz. Gleichzeitig hielt das Surreale Einzug: Wundergestalten, Träume und Fantastisches. Ausserdem kam ein freierer Umgang mit der Sprache auf, der auch mündlich-dialektale Einflüsse zuliess. Der Schweizer Autor Franz Hohler etwa stand für diese Literatur neuen Typs. Nicht zufällig schrieb er für Kinder wie für Erwachsene – auch dies ein Zeichen des neuen Literaturschaffens, das Literarisches auch Kindern zumutete.
Eine Münsterbewohnerin eigener Art
Erstmals zu Gesicht bekamen die Basler und Baslerinnen die Münsterwichtelin im Jahr 1978, als die Brzpf-Kurzgeschichten als Comicstreifen in der Basler Wochenzeitung “Doppelstab” erschienen. 1980 wurde daraus das heute bekannte Buch im Längsformat. Brzpfs Erlebnisse führen entsprechend den wöchentlichen Zeitungsausgaben durch den Jahresverlauf: Im Frühjahr hilft sie beim Ausbrüten des Taubennachwuchses in Kaiser Heinrichs Krone, im Sommer schubst sie die Schulkinder in den Münsterbrunnen, an der Herbstmesse hilft sie in der Geisterbahn aus, und zu Weihnachten veranstaltet sie ein Wichtelfest im Kirchenschiff.
Als Wichtelin mit Entenfüssen ist Brzpf ein Wesen eigener Art: charakterlich den Menschenkindern ähnlich, mit Lebewesen wie den Tauben freundschaftlich verbunden und auch mit den Sandsteinfiguren der Kirche per Du – etwa mit Ritter Georg, dem “Schorsch”. Nicht viel anfangen kann die Münsterbewohnerin hingegen mit den Erwachsenen, die im Kreuzgang zum Beispiel hinterhältige Mäusefallen aufstellen.
Ein “antisexistisches” Kinderbuch
Brzpf zeugt von der feministischen Ader ihrer Schöpferin, der 2012 verstorbenen Anna Regula Hess. Mit einer Freundesgruppe durchforstete Hess um 1980 die Schweizer Kinderbuchszene, auf der Suche nach Kinderbüchern jenseits gängiger “Geschlechtsstereotype”. Auch dies war ein Zeichen der Zeit: Progressive Kreise suchten nach weiblichen Hauptrollen und starken weiblichen Figuren in der Kinderliteratur, die der nachwachsenden Generation als Vorbilder dienen konnten. Die Gruppe gab so 1980 eine Sammlung “nichtsexistischer Bilderbücher” heraus mit dem Titel “Wo die wilden Mädchen wohnen”. Das Cover malte Hess, und natürlich durfte auch “Brzpf” unter den empfohlenen Titeln nicht fehlen.
Kurz vor ihrem Tod wurde Hess vom Verein “Frauenrechte beider Basel”, der ehemaligen Basler Stimmrechtsvereinigung, zum Ehrenmitglied ernannt. Nicht nur ihr jahrelanges Engagement als Vereinsmitglied sei zu würdigen, hielt die Co-Präsidentin Ursa Krattiger in einem Schreiben fest. Ebenso war es die von ihr kreierte aufmüpfige Wichtelin, die seit den 1980er-Jahren die Basler Kinderbuchszene aufmischt, die Hess zur Auszeichnung verhalf.
Ein Herzensprojekt
In Brzpf habe Anna Regula Hess alles hineingepackt, was ihr “wertvoll und wichtig” gewesen sei, sagt Jörg Hess, ihr Ehemann. Neben dem Frauenengagement und dem Gespür für Kinder – Hess arbeitete als Kindergärtnerin und später als Logopädin – floss ihr Interesse an Umwelt- und Tierthemen in das Buch ein. Gemeinsam mit Jörg Hess, der als Zoologe tätig war, gab sie das Buch “Heimliche Untermieter” heraus, für das sie die Tiere zeichnete, die oft ungewollt in menschlichen Wohnräumen zuhause sind: von Schaben bis zu Mäusen. Für den Schweizerischen Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) illustrierte sie 1982 die “Rote Liste” gefährdeter Amphibien und Reptilien in der Schweiz.
Nach einem Intermezzo beim Friedrich Reinhardt Verlag ist “Brzpf” heute wieder in der Hand der Familie Hess. Jörg Hess beliefert die Basler Buchläden bis heute nach Bedarf eigenhändig mit neuen Exemplaren. Gewinn habe “Brzpf” aber nie abgeworfen, betont er. Die Einnahmen würden jeweils für den Nachdruck aufgewendet. An Beliebtheit hat Brzpf über die Jahre jedenfalls nicht verloren: In einigen Familien wird sie bereits in dritter Generation gelesen. Aktuell wird die fünfte Auflage des fantastischen Basler Kinderbuchs vertrieben.
Quellen
Im Text genannte Basler Kinderbücher
Hess, Anna Regula: Brzpf. Die Wichtelfrau. Eine Bildergeschichte rund ums Basler Münster. Basel 1980.
Schütze, Rahel: Basel Wimmelbuch. Basel 2018.
Schütze, Rahel: Basel Wimmelbuch. Unterwegs. Basel 2019.
Wimmelbuch Zoo Basel. Illustrationen Mirco Brüchler. Berlin 2017.
Werenfels-Geymüller, Ruth: Em Schuggi sy Basel. E Helgebuech fir Grooss und Glai. Text von Marianne Hediger. Basel 1989.
Literatur zum Thema
Atlas der Schweizer Kinderliteratur. Expeditionen und Panoramen. Hrsg. vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SKIJM. Zürich 2018.
Kümmerlin-Meilbauer, Bettina: Kinder- und Jugendliteratur. Eine Einführung. Darmstadt 2012.
Schau genau! Variationen im Bilderbuch, 1950-2000. Katalog zur Ausstellung des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien. Hrsg. vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SKIJM. Zürich 2002.
Schreiben und Illustrieren für Kinder. Das aktuelle Kinderbuchschaffen in der Schweiz. Zürich 1998.
Von Passavant, Nicolas: Basels kultigste Wichtelfrau ist 40 Jahre alt. In: Luzerner Zeitung, 20.12.2018.
Werke mit Illustrationen von Anna Regula Hess
Hess, Regula/Friedli, Sigi/Gessler, Verena/Pittner, Ulrike: Wo die wilden Mädchen wohnen. Eine Auswahl nichtsexistischer Kinderbücher. Basel 1980.
Hess, Anna Regula/Hess, Jörg: Heimliche Untermieter. Von allerlei Getier zwischen Keller und Dach. Basel, Kassel 1993.
Rote Liste der gefährdeten und seltenen Amphibien und Reptilien der Schweiz. Hrsg. vom Schweizerischen Bund für Naturschutz SBN. Basel 1982.
Villard-Traber, Anneliese: Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Eine Chronik der Basler Frauenbewegung 1916-1983. Basel 1984.
Autor*in
Céline Angehrn interessiert sich für die kleinen und grossen AkteurInnen der Basler Geschichte. Sie hat an der Universität Basel in Geschichte promoviert und Geschichte unterrichtet. Bei Stadt.Geschichte.Basel ist sie Mitautorin von Band 7 (1912-1966).