1000 Jahre -10 Geschichten Der Münsterplatz: Raum, um Geschichte zu schreiben

Veröffentlicht am 10.12.2019, zuletzt geändert am 31.1.2024 #Zeitgeschichte

Was wäre das Münster ohne seinen Platz! Der Münsterplatz gehört zur Kirche, ist aber mehr als ihr Vorhof: Er ist auch ihr Gegenstück. Denn wenn sie Beständigkeit und Stabilität symbolisiert, so steht er für das Vorübergehende und Spontane, für den historischen Wandel der Stadt.

Ins Freie

Drehen wir uns noch kurz um, bevor wir die Kirche verlassen: zu den Bankreihen, die den Blick nach vorne zwingen, zu Kanzel, Chorgestühl und dem hypnotisierenden Lichtspiel durch die Rund- und Spitzbogenfenster. Darüber das machtvoll hohe und zugleich schutzversprechende Gewölbe. Wenden wir uns von alldem ab – und treten ins Freie. Hier, unter dem nackten Himmel, fühlen wir uns kurz schutzlos. Das fehlende Echo wirft uns auf uns selbst zurück. Ein Häuserkranz hegt den freien Raum ein, reihenweise Fenster blicken auf uns, unser Heraustreten.

Der Münsterplatz stellt das Münster frei, lässt unseren Blick in der Vertikalen staunend bis ganz nach oben wandern, zu den beiden Spitzen des Bauwerks, das wie kein anderes für Basel steht. Was tun wir noch? Wir fotografieren oder zeichnen vielleicht den markanten Bau, wie die Schüler im Zeichenunterricht auf dem Bild von 1939. Wir setzen uns unter die Schatten spendenden Bäume. Oder wir posieren für ein Bild auf der Pfalz. Vielleicht warten wir auf jemanden – oder wir spazieren weiter.

Schüler beim Zeichenunterricht neben dem Münster im Jahr 1939
Die Struktur des Seitenschiffs eignet sich bestens, um perspektivisches Zeichnen zu üben. Schüler beim Zeichenunterricht 1939: Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 20974 (Foto Bernhard Wolf-Grumbach). Um 1900 war Bernhard Wolf-Grumbach (1864-1951) Inhaber eines eigenen Fotogeschäfts, zunächst an der Hutgasse Nr. 8, später an der Freien Strasse Nr. 4.

Was ist öffentlicher Raum?

Dieser Platz, der das Münster umgibt, ist für uns der Inbegriff dessen, was wir als «öffentlichen Raum» bezeichnen. Woran denken wir dabei? Etwa an Spektakel und Unterhaltung. An politische Versammlungen und Revolten. Oder schlicht ans Flanieren, Verweilen, Sehen und Gesehenwerden. Solche Plätze sind grundsätzlich unbesetzt und das heisst: offen für ihren Gebrauch. Für wessen Gebrauch? Welchen Ereignissen hat der Münsterplatz Raum gegeben? Und wie trug er damit zur Geschichte der Stadt bei?

Universitätsdozenten auf dem Münsterplatz nach dem Festakt zur Einweihung des neuen Kollegienhauses am 10. Juni 1939
Kleider machen Leute – und Zugehörigkeit. (Noch ausschliesslich männliche) Universitätsdozenten auf dem Münsterplatz nach dem Festakt zur Einweihung des neuen Kollegienhauses am 10. Juni 1939. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 15, 474

Spiele der Oberschicht

Der Münsterplatz strahlt (meist) eine vornehme Ruhe aus, keine Frage. Im 13. bis 15. Jahrhundert diente er der Basler Oberschicht als Treffpunkt. Er gehörte zum bischöflichen Besitz und in den angrenzenden Häusern wohnten Domherren und Mitglieder des bischöflichen Dienstadels. Der Platz diente auch als Marktplatz, als Ort für amtliche Akte und bischöfliche Zeremonien. Seiner Grösse und Form wegen eignete er sich optimal für das Abhalten von Turnieren. Die Kämpfe, die immer wieder in blutige Fehden ausarteten, wurden durch Gelage und Tanz im nahen Haus zur Mücke begleitet. Nicht hier oben «auf Burg», sondern auf dem Petersplatz hielt hingegen das gemeine Volk seine Spiele ab.

Feuer ist ein starkes Zeichen

Im Februar 1529 verschafften sich «Neugläubige» (Anhänger der Reformation) Zutritt zur Münsterkirche, rissen Altäre und Heiligenstatuen heraus und verbrannten sie auf dem Münsterplatz. Religiöse Symbole zu verbrennen war ein gewaltiger Akt in einer Zeit, in der viele Menschen diesen Symbolen grosse eigene Kraft zusprachen. Doch der Angriff, der als «Bildersturm» erinnert wird, richtete sich nicht nur gegen den «alten Glauben», sondern auch gegen das Machtgefüge einer politischen und klerikalen Elite.

Die Statue des jugendlichen Diakons Laurentius
Die Statue des jugendlichen Diakons Laurentius (Basel, um 1480) gilt als das bisher einzige von der Forschung erkannte Holzbildwerk aus einer Basler Werkstatt der Spätgotik. Mit den Kratz- und Schlagspuren im Gesicht ist der Basler Laurentius ein Dokument für den Bildersturm von 1529. Als sein ursprünglicher Standort gilt die 1792 abgebrochene Andreaskapelle. Bild: Historisches Museum Basel.

Neue Rechte, neue Freiheiten

Rund 270 Jahre später ist eine ungleich geordnetere Versammlung rund um ein kleines Bäumchen überliefert: 1798 schmückte man das Münster republikanisch und feierte die Gleichstellung von Stadt- und Landbürgern (siehe dazu auch den Beitrag von Dominik Sieber). Diese Feier ist Zeichen eines neuen Anspruchs an Bürgerschaft und Teilhabe am öffentlichen Leben. Im 19. Jahrhundert wurden neue Rechte und Freiheiten gefordert: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Gewerbefreiheit. In der anbrechenden liberalen Ordnung erhielt der öffentliche Raum eine neue Bedeutung.

Die Stadt auf sich wirken lassen…

Touristinnen und Touristen auf der Pfalz, eine Runde Riesenrad zur Herbstmesse, Jungbürgerfeier zum 1. August: Auf den Münsterplatz kommen Reisende wie Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, um die Stadt, um die historische Kulisse, die machtvolle Architektur auf sich wirken zu lassen. Es fühlt sich hier an, als hätte man den Ursprung, den Ausgangspunkt der Stadt gefunden, von dem alles andere ausgegangen ist. Geborgenheit und Überblick zugleich.

Menschen blicken von der Pfalz auf Rhein und Kleinbasel, Staatsarchivbild
Die Stadt auf sich wirken lassen: Der müssige Blick von der Pfalz auf Rhein und Kleinbasel. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 22479 (Foto Bernhard Wolf-Grumbach)

…oder auf die Stadt einwirken

Der Fackelzug vom 1. Februar 1961, der an die eidgenössische Abstimmung für das Frauenstimmrecht von 1959 erinnern wollte, versammelte sich nicht zufällig hier, im historischen und symbolischen Kern der Stadt.

Auch die «Junge Aktion» mobilisierte für das «Schwarzenbachab-Fest» 1970 auf den Münsterplatz. Sie bekämpfte mit dem Fest die Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach und stellte auf ihren Plakaten die Initiative unmissverständlich in einen historischen Kontext. Die Initiative wurde mit 54% abgelehnt.

Frauen demonstrieren am Fackelzug von 1961 für politische Teilnahme
Der Fackelzug von 1961 zieht in Erinnerung an die eidgenössische Abstimmung zum Frauenstimmrecht vom Münsterplatz zur Mustermesse. Er fordert das Recht der Frauen auf politische Teilhabe. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1532 2 (Foto Hans Bertolf)

Sich versammeln

Im Zeichen des Baubooms und des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit nahm der Münsterplatz auf, was die Stadt buchstäblich überfuhr: Er wurde zum Parkplatz. Erst seit 2007 ist der Platz autofrei. Sein touristisches Potenzial und seine historische Relevanz sind mittlerweile erkannt und in speziellen Nutzungsplänen wird der Gebrauch des Platzes unter Berücksichtigung mannigfaltiger Interessenlagen geregelt.

Doch bei allem Bemühen um geregelte Verhältnisse zeigt die Geschichte: Plätze sind mehr als historische Kulisse oder Standortvorteil. Sie schreiben Geschichte mit, indem sie auch unvorhersehbaren und unberechenbaren Ereignissen Raum bieten. Sie stehen für das nicht steuerbare menschliche Bedürfnis, sich zu versammeln. Sei es, um historische Zeichen zu setzen, sei es, um das Zusammensein an sich zu feiern.

Viele Autos stehen vor dem Münster, Staatsarchivbild
Viel Raum für den Individualverkehr: Parkplatz vor historischer Kulisse. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1352 1 (Foto Hans Bertolf)
Spielende Kinder 1931 auf dem verschneiten Münsterplatz
Viel Platz, um sich im Schnee zu vergnügen. Spielende Kinder 1931 auf dem verschneiten Münsterplatz. Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 5-12-5

Quellen

Literatur

Kaspar von Greyerz, «Reformation, Humanismus und offene Konfessionspolitik», in: Georg Kreis, Beat von Wartburg (Hg.), Basel. Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, 80-109.

Werner Meyer, «Turnierstadt Basel», in: Mittelalter. Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins, 19/1 (2014).

Anne Nagel und Brigitte Meles, «Münsterplatz», in: Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt Bd. 7, Bern 2006, 28-99.

Nikolai Roskamm, Die unbesetzte Stadt: postfundamentalistisches Denken und das urbanistische Feld, Basel 2017.

Autor*in

Lina Gafner sucht nach dem Zusammenwirken von Menschen, Tieren und Dingen im städtischen Raum und seiner Geschichte. Mit Patrick Kury ist sie Co-Projektleiterin des Projekts und mit Esther Baur Mitherausgeberin von Band 9, dem einzigen Themenband der Reihe Stadt.Geschichte.Basel, der dem Thema “städtischer Raum” gewidmet ist.