1000 Jahre -10 Geschichten Bischof Haito – Ein Reisender zwischen den Welten
Basel war einmal eine Bischofsstadt, was heute praktisch vergessen ist. Nur der Bischofshof beim Münster erinnert daran, dass hier einmal der Stadtherr wohnte. Einer der ersten Basler Bischöfe war Haito – ein Vertrauter von Karl dem Grossen. Haito verfasste zwei Reiseberichte: von seinen Erfahrungen am byzantinischen Hof und von einer Reise über die Welt hinaus.
Schreibkundig und vernetzt
Von 800 bis mindestens 1530 gehörte Basel zum gleichnamigen Bistum, also bedeutend länger als das heutige, reformiert geprägte Basel. In den älteren Geschichtsbüchern wird dies gerne übergangen, denn sie behandeln vorzugsweise die Stadt mit ihrem Rat und ihren Einwohner*innen. Das Umland wie beispielsweise das Bistum oder der Sundgau sowie das Elsass werden dabei gerne ausgeblendet.
Wenn Basel seinen Platz am Rheinknie finden konnte, so verdankte es dies zu Beginn seiner Geschichte in erster Linie seinen geistlichen Stadtherren. Die Vorstellung, Bischöfe seien bloss weltfremde Frömmler gewesen, stimmt keinesfalls. Als schreibkundige Personen mit Verwaltungserfahrung waren sie in gewisser Weise die Vorläufer der heutigen Beamten. Denn sie wurden gewählt und konnten ihre Machtstellung nicht vererben, wie dies bei adligen Familien der Fall war. Letztere waren wiederum auf Geistliche angewiesen, denn diese unterstützten sie dabei, adlige Besitzansprüche schriftlich festzuhalten, was im Verlauf der Jahrhunderte immer wichtiger wurde.
Gleichzeitig mussten die Bischöfe ihre Bistümer betreuen, die weiträumiger als mancher Schweizer Kanton waren, und dies geschah zu einer Zeit, in der Mobilität und Kommunikation beschränkter waren. Die Diözesen – ein anderes Wort für “Bistümer” – gehörten überdies zum Reich, das seit 800 als Nachfolger des römischen Reichs wiedererweckt worden war und zu dem weite Teile Europas gehörten. Der bischöfliche Oberhirte musste also auch die europäische Politik berücksichtigen, und viele Bischöfe arbeiteten eng mit Königen und Kaisern zusammen.
Ein Vertrauter Karls des Grossen
Einer der ersten bekannten Basler Bischöfe veranschaulicht dies gut: Bischof Haito (auch “Heito” geschrieben), der das Basler Bistum von 805-823 leitete. Wir wissen nicht, wie er aussah, aber wir erfahren, dass er viel Macht und Ansehen besass. Er war nicht nur Bischof, sondern leitete als Abt auch das hochangesehene Kloster Reichenau beim Bodensee. Karl der Grosse vertraute ihm und schickte ihn nach Byzanz (heute Konstantinopel) an den oströmischen Kaiserhof. Ob er wohl Griechisch konnte? Auf jeden Fall verfasste er eine leider verlorene Beschreibung seiner Erfahrungen am byzantinischen Hof, die er “Hodeoporicon” nannte, die griechische Bezeichnung für eine Reise. Seine Mission war heikel, denn die oströmischen Kaiser hielten wenig von Karl dem Grossen. Dieser war 800 zum Kaiser gekrönt worden und trat somit die Nachfolge der römischen Imperatoren an; für die Griechen war er aber nur ein unbedeutender Emporkömmling. Dennoch schickten sie 812 eine Gesandtschaft zum betagten Karl dem Grossen, und bei diesem Ereignis war auch Haito als Kenner Ostroms anwesend. Am Hofe war Haito sehr geschätzt, und er durfte mit anderen das Testament Karls des Grossen unterschreiben.
Sein Bistum Basel förderte Haito nach Kräften. Er errichtete ein erstes Gotteshaus auf dem Münsterhügel; das Gebäude beeindruckte die damaligen Menschen sehr. Gleichzeitig unternahm er es, durch Gesetze das Leben der Priester zu regeln. Die 25 Kapitel seines Erlasses erstrecken sich auf alle möglichen Lebensbereiche, von denen einige hier genannt werden: Priester sollen vorbildlich leben und sowohl in Latein als auch in der Volkssprache (“barbarisch” nach Haito) predigen können. Ein Zusammenleben mit Frauen und Aufenthalte in Tavernen waren ihnen selbstverständlich verboten. Schliesslich werden Patinnen und Paten ermahnt, auf die ihnen anvertrauten Kinder zu achten und sie auf ihrem Lebensweg zu begleiten.
Ein “Reisebegleiter”
Am Ende seines Lebens verzichtete Haito aus Gesundheitsgründen auf die Basler Bischofswürde und trat 823 als einfacher Mönch ins Kloster Reichenau ein. Danach nahm er als Zuhörer an einer aussergewöhnlichen “Reise” teil. Sein Mitbruder Wetti erkrankte im Oktober 824 plötzlich, und wenige Tage später begann er, in Träumen das Jenseits zu erkunden. Haito stand ihm zur Seite und schrieb auf, was der Schwerkranke nach seinem Aufwachen erzählte. Wetti starb kurz darauf. Solche Trips wurden im Mittelalter häufig aufgezeichnet und erfreuten sich grosser Beliebtheit. Gerne wurden sie auch bebildert.
Haito scheint das, was Wetti berichtete, sehr ernst genommen zu haben, denn seine Beschreibung lässt auch Unangenehmes nicht aus. Es tauchen Geister auf, Sünderinnen und Sünder werden gegeisselt und bestraft, aber ein Engel teilt Wetti mit, dass die Gebete der Lebenden die Qualen der Verstorbenen erleichtern können. Wetti sieht auch bekannte Personen, die bereits verstorben sind, darunter Karl den Grossen. Ihm geht es nicht so gut, denn sein Körper ist zwar unverletzt, sein Geschlechtsteil ist aber durch den Biss eines Tieres zerfleischt. Obwohl später heiliggesprochen, lebte der fränkische Kaiser ungestört mit Gattin und Nebenfrauen zusammen. Die Höllenstrafe widerspiegelt also seine sexuellen Vergehen. Immerhin versichert der Engel, dass Karl eines Tages dennoch ins Paradies gelangen könne.
Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, dass Haito unzensuriert die kritischen Aussagen, die seinen ehemaligen Vorgesetzten betrafen, aufzeichnete. Haitos Glaube, dass Wetti auf dem Totenbett die Wahrheit sehe, war stärker als das Bedürfnis, das gute Andenken an seinen Chef bewahren zu müssen. Denn Haito war sicher, dass auch er sich im Jenseits für seine Taten verantworten musste.
Quellen
Literatur
Hermann Knittel (Hrsg.), Heito (Haito) und Walahfrid Strabo. Visio Wettini. Reichenauer Texte und Bilder Bd. 12 (Heidelberg, 2009).
Albert Bruckner u. a. (Hrsg.), Das alte Bistum Basel. In: Helvetia Sacra Bd. 1 (Bern, 1972) 127-362.
Abbildungen
Titelbild: Saurma-Jeltsch, Lieselotte E.: Die Miniaturen im “Liber scivias” der Hildegard von Bingen. Die Wucht der Vision und die Ordnung der Bilder. Wiesbaden 1998. Ausschnitt.
Abb. 1: Saurma-Jeltsch, Lieselotte E.: Die Miniaturen im “Liber scivias” der Hildegard von Bingen. Die Wucht der Vision und die Ordnung der Bilder. Wiesbaden 1998.
Abb 2: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 573, p. 295 – Paulin von Périgeux, Vita des hl. Martin; Venantius Fortunatus, Vita des hl. Martin und Carmina; Visio Wettini von Heito und von Walahfrid; Vision der armen Frau; Offenbarungen des Barontus; Varia (https://www.e-codices.ch/de/list/one/csg/0573). Ausschnitt.
Autor*in
Claudius Sieber-Lehmann ist Mitherausgeber von Band 2 (800-1270) der neuen Basler Stadtgeschichte. Seine Dissertation “Spätmittelalterlicher Nationalismus am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft während der Burgunderkriege” erschien 1995. An Forschungsaufenthalte am Max Planck-Institut (Göttingen) und an der EHESS (Paris) schloss sich 2003 die Habilitation zum “eidgenössischen” Basel nach 1501 an. Danach wandte er sich dem Hochmittelalter zu. Dank eines Stipendiums des Historischen Kollegs in München entstand das Buch “Papst und Kaiser als Zwillinge?” (2015). Fazit: Basel und das Mittelalter werden sein Forscherleben auch in Zukunft begleiten.